Freitag, 8. Juni 2012

Die Nebel von Avalon XLV

Wir sind, 's wird ja mal wieder Zeit, in Avalon. Dem richtigen Avalon, nicht dem immer wieder beschwörend angerufenen, und das echte Avalon hat so ein bisschen das Problem, mit den Vorstellungen mitzuhalten. Real-Avalon pöttert mittlerweile eher schlecht als recht vor sich hin, nicht zuletzt aufgrund eines eklatanten Mangels an kompetentem Personal.

Es ist Frühling und Kevin der Merlin besucht Niniane, die amtierende Herrin vom See.

„Was führt euch so früh im Jahr nach Avalon, Ehrwürdiger Merlin?“ fragte sie. „Kommt ihr aus Camelot?“

Kevin schüttelte den Kopf. „Ich verbrachte dort einen Teil des Winters“, erwiderte er, „und sprach oft mit Artus' Ratgebern. Aber bei den ersten Anzeichen des Frühlings zog ich mit einer Mission nach Süden zu den Bündnistruppen ... vermutlich sollte ich jetzt sagen: in das Reich der Sachsen. Und ich glaube, ihr wißt, wen ich dort sah, Niniane. War das Morgauses Werk oder eure Entscheidung?“

Wen hat er denn gesehen? Wer kam denn auch schon lange nicht mehr vor und müsste langsam mal wieder in die Geschichte integriert werden?
Richtig, Gwydion, der Hörnisohn. Der ist aus freien Stücken zu den Sachsen, da er der Meinung war, so ein bisschen Kampferfahrung könne bei der Ausbildung zum Druiden nicht schaden.

Nini: „Bei Artus konnte er das Kriegshandwerk schlecht lernen, daher ging er zu den Sachsen. Beschwören, dass Morgause keinen Anteil daran hatte, kann ich allerdings nicht.

Kevin: „Immerhin ist sie die einzige Mutter, die er je kannte. Und sie regiert ihr Reich ebenso gut wie ein Mann, auch mit neuem Gefährten.“

Nini: „Ach, neuer Gefährte? Wußte ich gar nicht. Ich bin nicht so gut im Gesichte-haben, wie es Viviane war. Ich kriege nicht so gut mit, was in der Welt passiert.“

Kevin: „Habt ihr überhaupt Gesichte?“

Nini: „Och, hm, hin und wieder, manchmal, zwischendrin. Wird aber immer schwieriger, Avalon entfernt sich immer weiter von der Welt. Wir haben mittlerweile sogar schon eine Zeitverschiebung zwischen Avalon und dem Draußen. Bald bekommen die Besucher Jetlag, falls überhaupt noch welche kommen.
Aber mich kümmert außer Gwydion in der Welt draußen ohnehin keiner mehr.“

Kevin: „Och, ihr solltet nicht so scheuklappig sein, da gibt es noch jemanden, der euch interessieren sollte.“

Nini: „Artus? Der hat uns abgeschworen, der hat von uns nichts mehr zu erwarten, nicht mal Aufmerksamkeit.“

Kevin: „Artus meine ich nicht. Nein, das Kleine Volk hat mir mitgeteilt, dass es wieder eine Königin und einen König gebe. In Wales.“

Nini: „Uff, Unsinn! Uriens, der olle Zausel? Du veräppelst mich!“

Kevin: „Du kriegst wirklich nichts mehr mit, eh? Morgaine! Morgaine meine ich! Die gibt es auch noch und nicht Uriens ist der König sondern sein Sohn. Der wurde hier ausgebildet und trägt die Schlangen.

Niniane saß reglos und schwieg. Schließlich sagte sie: „Ich hatte es vergessen. Er ist nicht der Erstgeborene, und deshalb glaubte ich, er würde nie herrschen ...“

Kevin: „Der Erstgeborene ist ein Depp, was die Christenpriester natürlich gut finden. Doch Accolon und Gähne halten das Banner der alten Sitten hoch.“

„Auch für das Alte Volk in den Hügeln ist sie die Königin, gleich, wer nach römischer Sitte auf dem Thron von Wales sitzt. Der König stirbt für sie Jahr für Jahr unter den Hirschen, aber die Königin lebt ewig. Es mag sein, daß Morgaine am Ende vollbringt, was Viviane nicht beenden konnte.“

Nini reagiert überraschend gereizt.

„Kevin, seit Vivianes Tod ist kein Tag vergangen, an dem man mich hier nicht daran erinnert hätte, daß ich nicht Viviane bin, daß ich nach Viviane nichts bin. Selbst Raven verfolgt mich mit ihren großen stummen Augen, die immer sagen: Du bist nicht Viviane, du kannst Vivianes Werk nicht weiterführen. Ich weiß wohl, ich wurde nur gewählt, weil ich die letzte aus dem Geschlecht des Taliesin bin. Es gab keine andere mehr außer mir. [...] Nein, ich bin nicht Viviane. Ich bin auch nicht Morgaine. Aber ich habe auf meinem Platz, nachdem ich nie strebte, der Göttin pflichtbewußt gedient. [...] Ich habe meine Gelübde nicht gebrochen ... zählt das etwa nicht?“

Kevin: „Mei, so eine wie Viviane wird auch nur alle paar Jahrhunderte mal geboren. Ist doch klar, dass sie große Fußspuren hinterlässt. Macht euch keine Vorwürfe, ihr habt euer Gelübde brav erfüllt.“

Nini: „Aber Gähne nicht!“

Kevin: „Ja, nu, die entstammt ja auch dem alten Königsgeschlecht, da können wir nicht über sie richten.“

Nini: „Das sagt ihr nur, weil ihr sie geliebt habt!“

Kevin: „DAS ist lange vorbei und ihre letzten Worte zu mir waren unverzeihlich. Trotzdem ist es nicht an uns, sie zu verurteilen. Sie erfüllt ihre Aufgabe dort, ihr eure hier.“

Nini: „Ja, pfht. Themenwechsel. Was macht Gwydion denn so bei den Sachsen?“

Kevin: „Er zeigt sich begabt in Kriegskunst und -list. Die Sachsen nennen ihn Mordred, „listiger Rat“.
Er machte auch viel Aufhebens um mich, nannte mich Onkel und alles ... das behagt mir nicht, das schien nicht aufrichtig.“

Nini: „Ach, sicher fühlt er sich nur einsam und war echt froh, euch zu sehen.“

Kevin: „Hmmmhmhm. Wie weit ist er eigentlich in die geheimen Lehren eingeweiht?“

Nini: „Er trägt die Schlangen.“

Kevin: „Duh! Das kann so dermaßen alles und nichts bedeuten, da könntest Du auch sagen, er würde ein Meerschweinchen tragen.“

„Zur Sommersonnenwende soll er zurückkehren“, sagte sie beherrscht, „um König von Avalon zu werden, denn Artus hat dieses Volk betrogen. [...]
Kevin warnte: „Er ist noch nicht bereit.“
„Zweifelt ihr an seinem Mut? Oder an seiner Treue ...?“
„Oh ... Mut“, entgegnete Kevin und machte eine wegwerfende Geste. „Mut und Schlauheit ... Aber ich traue seinem Herzen nicht und ich kann darin nichts lesen. Außerdem ist er nicht Artus.“

Nini: „Na, gut, dass er es nicht ist, nicht wahr? Wir brauchen Gläubige, die an Avalon glauben und uns die Treue halten.“

Kevin: „Hrmpf! Avalon ist nicht die wahre Welt, vergesst das bitte nicht! Wir haben keine Armee und keine wahre Macht. Artus ist sehr beliebt und Avalon treibt mit jedem Tag weiter auf seiner roten Luftmatratze ab.“

Nini: „Dann müssen wir Artus eben umso schneller stürzen!“

Kevin: „Ich frage mich, ob das überhaupt noch möglich ist oder ob wir uns alle etwas vormachen.“

„Wenn Avalon untergeht“, sagte Niniane, „verliert Britannien sein Herz und wird sterben. Denn die Göttin entzieht dem ganzen Land die Seele.“

„Glaubt Ihr das wirklich, Niniane?“ fragte Kevin seufzend. „Ich bin kreuz und quer durch dieses Land gereist ... bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit ... als Merlin von Britannien, als Falke des Gesichts und Bote des Großen Raben ... jetzt sehe ich in diesem Land ein anderes Herz ... es schlägt in Camelot.“

Nini: „Als Gähne euch einen Verräter hieß, habt ihr da so gesprochen?“

Kevin: „Nein, da ging es um etwas anderes. Aber Artus kann nicht gestürzt werden, ohne das Land ebenfalls zu stürzen, und zwar in das schlimmste Chaos seit Menschengedenken.“

Nini: „Na, es war auch nie geplant, dass Gwydion gegen Artus um den Thron kämpft. Aber Gwydion wird richtig und nach allen alten Regeln der Kunst zum Hirsch gemacht und hat dann die Unterstützung aller Altgläubigen. Dann wollen wir doch mal sehen.“

Kevin: „Artus' Ritter würden ihn allesamt nicht anerkennen und diesen Sommer wird es ohnehin wieder Krieg geben. In der Bretagne erhebt ein gewisser Lucius den Anspruch auf den Thron von ganz Britannien. Dachte wohl, jetzt, wenn Artus' Locken nicht mehr lorealähnlich glänzen, ist die Zeit günstig. Aber ich denke, man darf Artus nicht unterschätzen.“

Nini: „Ihr liebt Artus zu sehr für jemanden, der ihn vernichten sollte.“

Kevin: „Ach, lieben. Für mich ist er noch immer der Hirschkönig, der sein Land verteidigt.“

Nini: „Und wenn der junge Hirsch herangewachsen ist? Was dann?“

Kevin stützte den Kopf in die Hände. Er wirkte alt, krank und erschöpft. „Dieser Tag ist noch nicht gekommen, Niniane. Versucht nicht, Gwydion zu drängen, nur weil er Eurer Geliebter ist, denn das wird sein sicherer Untergang sein.“

Kevin erhob sich und verließ hinkend den Raum, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Niniane blieb ärgerlich und mißmutig zurück.

Woher wußte dieser Widerling davon? Ich habe keine Keuschheitsgelübde abgelegt wie diese Nonnen! Wenn ich mit jemandem schlafen will, entscheide ich das ... Selbst wenn dieser Mann mein Schüler ist und noch ein Knabe war, als er nach Avalon kam.

Ja, die alte Geschichte. Zuerst schließt sie ihn ins Herz, dann lässt sie ihn ins Bett. Zuerst im Rahmen der Lagerfeuerriten, aber als die vorbei sind, haben die beiden einfach nicht aufgehört.


Wenige Tage nach Beltane kehrt Gwydion nach Avalon zurück. Der neue Hirsch, äh, König soll gewählt werdne und Gwy hat da so einen gewissen Verdacht, dass ihn das etwas angehen könnte.

Nini: „Na, mal nicht so hurtig. Es kann sein, dass es vielleicht keine passende Jungfrau für den Ritus gibt.“

Gwy: „Pipperlapupp! Es wird geschehen und ihr seid die Priesterin, das Gesicht hat es mir gezeigt.“

Nini: „Ich bin ja wohl, ähm, keine Jungfrau mehr. Ich sag's nur.“

Gwy: „Details! Die Mutter kann und darf alles sein, auch eine Nichtjungfrau an Jungfrauenstatt!“

Niniane, ohnehin schon nicht sonderlich gut für ihren Posten geeignet und zusätzlich komplett ihrem jungen Geliebten verfallen, erscheint diese Aussage durchaus vernünftig.

Sie senkte den Kopf und sagte: „So soll es sein! Du wirst mit mir in ihrem Namen die Große Ehe mit dem Land schließen.“

Gähne liegt in Wales und träumt. Von der großen Ehe und dem Hirschkönig; sie merkt sofort, dass mit der Jungfrau etwas nicht stimmt. Entsetzt wacht sie auf, glaubt aber, von sich und Lendenlot geträumt zu haben. Na, das wissen wir besser, ne?

Morgaine versuchte, sich wieder zu beruhigen und wieder einzuschlafen. Aber sie lag aufgewühlt wach, bis die ersten Strahlen der Frühsommersonne durch das Fenster fielen.