Mittwoch, 28. Oktober 2009

Das gläserne Tor – I

Das Wasser leuchtete, als seien Lampen darin versenkt. Langsam begann das kreisförmige Licht zu pulsieren, es schien im niederprasselnden Regen zu tanzen. Grazia traute ihren Augen nicht.


Wir schreiben das Jahr 1895 und die grazile Grazia hat ihren Verlobten Friedrich grade zu einem sensationellen Grabfund auf der Berliner Pfaueninsel begleitet. Während Friedrich hektisch versucht, das Grab gegen den herabpladdernden Regen zu schützen, tanderadeit Grazia ein wenig herum (und das noch einige Jahre vor Sinatras „Singing in the rain“) und hat nun neben einem Steg dieses seltsame Licht unter Wasser entdeckt.

Sie würde Friedrich gerne auf diese wundersame Entdeckung aufmerksam machen, doch der ist beschäftigt und will sie nur ins Bootshaus schicken, auf dass sie sich nicht erkälte. Was könnte ein simples Weibchen schon Wichtiges zu sagen oder gar zu entdecken haben, nö?

Grazia, immerhin die Tochter ihres coolen Vaters, rafft daraufhin ihr Rüschenkleid und will der Sache selbst auf den Grund gehen. Zurück beim Steg bemerkt sie zweierlei: das Licht ist fast fort und auf dem Steg selbst liegt ein nackter Mann.

Huch!

Grazia ist herzlich überrascht.

Ich auch.

Ich meine, wir sind auf der dritten Seite des ersten Kapitels und schon regnet es nackte Männer.
Also, nicht, dass ich was dagegen hätte, ne, ich mag auch die Weather Girls und so, aber ... huch?

Okay, wir haben also eine viktorianische Dame, einen nackten Mann und viel Regen. Warum nicht, gibt Schlimmeres.
Grazia ist nun erst mal weidlich verblüfft und schwankt zwischen Ohnmacht, Friederich holen und sich die *hust*Angelegenheit mal genauer anzusehen. Zwar wäre es unschicklich, sich in der Nähe eines nackten Mannes aufzuhalten, aber ... er könnte ja in Not sein! Jawohl! Wie er so daliegt auf dem Steg! Da muss man doch helfen muss man doch!

(Es wird nicht erwähnt, ob er auf dem Bauch oder dem Rücken liegt. Übrigens. Ich dachte, ich erwähne das mal ganz beiläufig. Hust.)

Am Ende [des Steges] angelangt, hoffte sie, dass Friedrich nicht kam. Was würde er denken, wenn er sah, wie sie sich zu dem Fremden hinabbeugte? Noch nie hatte sie einen nackten Mann leibhaftig vor Augen gehabt. Zögerlich ließ sie den Blick über seinen Körper gleiten und streckte die Hand aus. Sie wollte ihn an der Schulter berühren, nur ganz leicht, und fragen, wer er war und was ihn plagte.


Also mich persönlich würde erst mal meine Kleiderlosigkeit plagen, aber ich bin da auch sehr g'schamert und außerdem kein Mann.

Außerdem bin ich schmollig, weil sie ihn nicht mit ihrem Schirm piekt. Das wäre viel lustiger gewesen.

Aber gut. Sie berührt ihn also an der Schulter und bekommt, whoops, einen Wasserschwall ins Gesicht. Danach muss sie sich erst mal ordnen und als sie wieder auf den Steg blickt, ist der Fremde weg, mitsamt seiner Nacktheit. Grazia wird es nun doch etwas unheimlich und sie will wieder zurück an Land, dreht sich um und da! Steht er hinter ihr! Und er ist groß und vollkommen und nackt und er hat silberne Augen und er ist nackt und schön und seine Haut ist leicht gebräunt und er hat immer noch nichts an.

Grazia bittet ihn, unter Vermeidung tieferer Blicke, darum, wieder ans Ufer gelassen zu werden, merkt aber, dass er sie wohl nicht versteht. Ganz langsam und ganz fasziniert tritt sie näher, da springt er sie an, küsst sie und ... wie soll ich es sagen ... wässert sie.

Ja, dohoch!

Sie hing in den Armen des Fremden, der sie aus sich heraus mit Wasser füllte, und fühlte sich dennoch nicht bedroht, nur grenzenlos verwundert. Irgendwann schloss sie die Augen, bereit, in dieser Umarmung zu ertrinken. Da hörte es auf. Sie spuckte, schluckte ein letztes Mal und sah auf.


Meine Herren, hier geht's aber ab!

Grazia ist noch immer ganz verdattert, als ihn plötzlich die Angst überkommt und er in eine Art Wackelkontakt gerät: menschlich – Wasser – menschlich – Wasser – menschlich. Dann fällt er vom Steg, wird ins Licht gezogen und ist weg.


Szenenwechsel!
Im Hause der Zimmermanns, denn das ist Grazias Nachname, unterhalten sich ihr Vater und ihr Friederich über den Grabfund auf der Pfaueninsel. Unsere Heroine wird davon aus dem Schlaf gerissen, obwohl es schon 15 Uhr ist. Offensichtlich gibt es für eine Frau, die nass auf einem Steg liegt und von nackten Männern phantasiert, nur eine Therapie in diesem Zeitalter: ab ins Bett, bis die Nerven wieder heile sind.

So liegt sie nun und kann darüber nachsinnen, dass sie zwar mit Friederich verlobt ist, aber trotzdem keinen so rechten Draht zu ihm hat. Ihr Vater () hatte ihn ihr vorgestellt, weil er von ihrem Interesse an der Archäologie wusste und dachte, er könne ihr damit eine Freude machen.

Die Gelehrtentochter würde einen Gelehrten ehelichen und stets Verständnis für das aufbringen, was er tat. Eine ideale Verbindung, mit der beide glücklich sein sollten.


Warum nur denke ich, dass dem nicht so ist und auch nicht so sein wird? Eh?

Vati und Friederich unterhalten sich über das Grab und spekulieren ein wenig herum. Das Grab ist nämlich komisch, jawoll. Nicht skythisch und überhaupt nicht zuzuordnen nämlich. Friederich hat schon Visionen von sich als einem zweiten Schliemann (dat is der, der wo Troja gefunden hat).

Das Gelausche wird unterbrochen von Grazias Bruder Justus, der berlinernd in ihr Zimmer rennt und verkündet, dass der Herr Mittenzwey, also Friederich, einen Kasten mit Blinkekrams mitgebracht hätte. Grazia stellt die Ohren auf, jagt Justus hinaus und klingelt nach dem Dienstmädchen, denn sie wünscht nun aufzustehen. Das Dienstmädchen plauscht dann noch locker darüber, dass der Herr Verlobte einen Grabfund mitgebracht hätte und sogar deswegen einen Photographen einbestellt hätte! Nun ist Grazia nicht mehr zu halten. Schnell tüddelt sie sich zurecht und wuselt ins Wohnzimmer.

Schon bald kommt der Photograph und Friederich enthüllt seinen Plan: Grazia mit dem gefundenen Schmuck zu photographieren, wie es weiland schon Schliemann mit seiner Frau Sonja gemacht hat.

Naaaaaaaaaaaaaaachmaaaaacher!

Grazia wird also fürstlich behängt, dann entzückend fotographiert (sie wagt es sogar, ganz verrucht ihre Knöchel! zu zeigen) und danach liest ihr Friederich noch die Leviten.

„Ich will nicht, dass so etwas ... so etwas Skandalöses noch einmal passiert. Meine Braut, durchnässt am See liegend und von einem nackten Mann plappernd.“


Und deswegen dürfe sie auch niemals nicht wieder mit zum Grab auf der Pfaueninsel, jawoll, das habe er so beschlossen!



So ein Gnatzkopp, dachte sie. Wollte er wirklich, dass sie als ordentliche Tochter und Braut ihren Platz ausschließlich zu Hause einnahm und nicht dort draußen bei seiner Arbeit?


Sie verspricht ihm dann, sich vom Grab fernzuhalten und er ist zufrieden. Ja, sieht so aus, als wäre alles wieder normal und beim alten.

Oder ... doch nicht?

Als sie das [Wasser-]Glas abstellte, bemerkte sie, dass es noch bis zum Rand gefüllt war. Aber sie hatte davon getrunken. Sie war sich sicher, es fast leer getrunken zu haben.


12 Kommentare:

Alienor hat gesagt…

"Das Wasser leuchtete, als seien Lampen darin versenkt. Langsam begann das kreisförmige Licht zu pulsieren, es schien im niederprasselnden Regen zu tanzen."

Hey, das fängt doch auf Anhieb mal richtig gut an! :-)

Eine Schreibweise, bei der sich einem nicht die Fußnägel hochrollen, Leute, die sich scheinbar zumindest einigermaßen zeitgerecht verhalten und sogar eine interessante Geschichte!

Sieh an, das könnte doch mal eine echt nette Leserunde werden (wäre ja mal 'ne Abwechslung! ;-)).
Warten wir ab, ob sich Grazia (den Namen finde ich allerding gräußlich) nicht noch in eine kann-alles-weiß-alles-moderne-Amazone verwandelt, aber bisher lässt sich das doch ziemlich gut an.

:Kaffee-und-Kekse:

Die Jo hat gesagt…

"dass sie zwar mit Friedrich verlobt ist, aber trotzdem keinen rechten so rechten Draht zu ihm hat."

Bis hier hin hats mir gut gefallen. Sieht ja nach keinem großen Drama aus. Junge Frau, aus Liebe zu einem unbekannten Fremden, bricht mit Vater und Gesellschaft, weil sie den ihr versprochenen nu doch nicht mehr will.

Schnarch.

Aber ich freu mich auf weitere Beschreibungen nackscher Männer.

Die Jo hat gesagt…

PS: Ein stalkender nackter Wassermann, der ihre Liebe zu Friedrich bedroht, hätte mir besser gefallen.

Anonym hat gesagt…

Sie wird gewässert.

Gewässert.

Und tatsächlich wörtlich, ja? Nicht im übertragenen Sinne?

Abstrus. Aber das verspricht witzig zu werden *G*

Halefa hat gesagt…

Und ich dachte schon, ich wäre die einzige, die es äußerst ... seltsam findet, wenn ein Mann Wasser in meinen Mund spuckt. Ziemlich lange.
Wenn ich viel Wasser trinke, fühle ich mich so gluckerig im Bauch - tut sie das auch? Oder muss mal aufs Klo? Oder so?

amanda james hat gesagt…

bin ich hier die einzige, die bei der beschreibung des nackten mannes an einen ander "mann" denken musste?

aber egal: dat fängt ja mal richtig gut an. ich freu mich richtig drauf!!!

Anonym hat gesagt…

Das ist vielleicht eine Abwechslung zu Marthe und Eragon. So viel handlung gab es dort zusammen nicht. :glubsch:
Aber so recht kann ich die Geschichte noch nicht einordnen. Ich meine: WTF!!! Wasser speiender nackter Mann? Eeek!

Anna N.

Anonym hat gesagt…

Hm, ich hoffe, das Buch wird noch schlechter, sonst ist das ja gar nicht richtig lustig hier. *motz* ;)

Silph hat gesagt…

Ich find das Wort "Gnatzkopp" lustig. Aber ich bin ja auch nicht aus Berlin.

mohrchen hat gesagt…

Heyyy, wir fangen in Berlin an! *manwe*
Und Gnatzkopp hab ich als Kombination zwar noch nie gehört, gefällt mir aber.

amanda james hat gesagt…

gnatzkopp hab ich in der kombi auch noch nicht gehört...aber wenn jemand sowas ist(also in meiner näheren umgebung) dann sag ich döspaddel(oder wie auch immer das geschrieben wird) hab ich von meiner omma und ich bin berliner :ugly: aber gnatzkopp werd ich mir mal merken ;-) vielleicht war das nur im 19.jhdt gebräuchlich?

mohrchen hat gesagt…

Ich kenn auch eher Döskopp; aber ein Döskopp ist ja auch nicht gnatzig, ne?