Er hatte etwas mit ihr getan, das war ihr jetzt klar. Grazia setzte sich auf und entzündete die Kerze auf dem Nachttisch. Seit Stunden lag sie im Bett, wälzte sich von einer Seite auf die andere und grübelte darüber nach, was es mit dem Wasser auf sich hatte. Es musste mit dem Mann zu tun haben.
Achwas?
Gut, ist erst mal naheliegend. Grazia versucht sich daran zu erinnern, wie es nun genau war, als der Fremde sie küsste und ... wässerte. Aber viel weiter als bis zu „ganz anders als bei Friederichs erstem und bislang einzigen Kuss“ kommt sie nicht. Außerdem ist sie, ganz Tochter ihres Vaters, dann doch eher für handfeste Beweise. Sie angelt sich den leeren Porzellanbecher von der Frisierkommode, schlüpft wieder ins Bett und versucht das Wunder der wundersamen Wasservermehrung zu wiederholen.
Nichts geschah. Natürlich nicht.
Sie zweifelt, findet die ganze Sache und ihren Verdacht albern. Trotzdem will sie es nochmal versuchen, kneift die Äugelein zusammen und visualisiert nochmal dem Moment der ... Wässerung.
Kühl wurde es unter ihrer Hand. Sie riss die Augen auf. Wahrhaftig, der Becher war bis zum Rand gefüllt.
Sie hat
Das ist jetzt natürlich so ein bisschen schockierend für die gute Grazia, denn in einem Zeitalter ohne Akte X ist man auf so eine Fähigkeit mental gar nicht vorbereitet. Sie schmeißt den Becher von sich, *klirr*, und geht ohne Verzögerung in die Leugnen-Phase über. Sie müsse schlafen, OMG, das gibt's doch nicht, auweia!
Vor allem stellt sich die Frage, wem sie davon erzählen kann. Vater und Friederich würden sie doch nur wieder ins Bett oder gar ins Irrenhaus stecken. Sie könnte ihnen die Fähigkeit natürlich auch vorführen, das wäre dann doch eher ein unwiderlegbarer Beweis, aber vielleicht kann sie ja nicht, wenn jemand guckt.
Ich möchte hier bitte positiv vermerkt haben, dass ich mich aufgrund meiner umfassenden Bildung und meines ungeheuren Niveaus jeglicher Wortspiele bezüglich „Wasser lassen“ enthalten habe.
Danke.
Nein, sie muss gegen den Willen von Friederich verstoßen und zurück zum Steg! Aber wie? Einfach mal so verschwinden ist nicht drin. Sie braucht also einen Verbündeten.
Ihr kleiner Bruder Justus (erwähnte ich schon, dass ich Justus Jonas und die drei ??? ziemlich mag?) ist sofort bereit, ihr ein Alibi zu bieten.
„Hör zu: Bevor Du zur Schule gehst, sagst Du, ich sei im Grunewald spazieren. Nach drei Tagen Herumliegen muss man sich ja die Beine vertreten. Sie werden deswegen zwar schimpfen, aber sie werden es glauben.“
Nachdem das geklärt ist, kann Grazia mit all ihren sich überschlagenden Gedanken wieder ins Bett kriechen, schließlich hat sie am nächsten Tag eine Menge vor.
Am nächsten Morgen übt sie nochmal mit der Waschschüssel (*plätscher*) und macht sich aufgeregt auf den Weg zur Pfaueninsel. Dort angekommen muss sie zu ihrem Mißfallen feststellen, dass ihr Friederich schon eifrig auf der Ausgrabungsstelle zugange ist. Wie ungünstig. Grazia huscht von Baum zu Baum und kommt so erst mal ungesehen zum Steg. Dort sieht sie sich aufgeregt um, kann aber nichts entdecken, noch nicht einmal einen auf dem Grund der Havel herumliegenden nackten Mann. Was einerseits gut, andererseits aber auch enttäuschend ist und sie wieder an sich selbst zweifeln lässt.
Sie schilt sich selbst eine Närrin, da, wie auf's Stichwort, fängt das Licht wieder an zu leuchten. Zwar nur schwach, aber immerhin. Und nicht nur das Licht ist auf einmal aufgetaucht, auch Friederich steht auf einmal auf dem Steg und ist höchst unamüsiert.
Das war jetzt 4 x „auf“ in einem Satz. Mein Deutschlehrer würde mir dafür wahrscheinlich den Hosenboden strammziehen. Ich hingegen deklariere das einfach mal als Absicht und stilistische Devise und da soll mir mal einer das Gegenteil beweisen, ha!
Aber weiter. Grazia versucht, Friederich (Der Friederich, der Friederich, der war ein arger Wüterich, tum-teeh-tum) das Licht zu zeigen („Geh nicht ins Licht!“ – „Aber es ist so schön!“), ihr Anverlobter ignoriert das aber völlig und will sie schimpfend vom Steg zerren.
Aber er sah gar nicht hin. Stattdessen griff er ungeachtet seiner schmutzigen Finger nach ihrem Arm. „Grazia, nicht schon wieder so eine merkwürdige Geschichte. Was ist nur mit dir? Mir scheint, du bist wirklich krank.“
Okay, den Arsch der Geschichte hätten wir damit einwandfrei identifiziert würde ich sagen.
Grazia versucht sich loszureißen, Friederich versucht sie festzuhalten, es kommt, wie es kommen muss: die holde Dame reißt sich los, verliert auf dem schmalen Steg das Gleichgewicht und platscht in die Havel.
Friederich ist erschrocken, kann sie aber gleich am Handgelenk packen.
„Ganz ruhig“, ermahnte er sie, „ich habe dich ja.“
„Friedrich“, keuchte sie. „Etwas ist ... da unten.“
Oha!
Tatsächlich, ein Sog zieht sie ins Licht. Das ist wie eine Röhre geformt und die spuckt sie mit ihrem letzten Molekül Sauerstoff in den Lungen ganz unzeremoniell in eine Wüstenlandschaft.
Wüste? Jetzt echt?
Eine Wüste! Eine Wüste! Das wird noch lustig!
8 Kommentare:
Wasser lassen...äh... machen können ist in der Wüste sicher eine praktische Fähigkeit. Ich wette, damit beeindruckt sie demnächst einen Scheich oder so.
lg, Antigone
Jepp, sie kann Wasser machen und landet in einer Wüste.
Das kann kein Zufall sein! *hitchcock-musik*
Ich hoffe ja außerdem inbrünstig, dass sie sich wenigstens noch an ihren Schirm geklammert hat. :-D
Kommt der Wasser-Mann auch aus der Wüste? Hat er ihnen das Wasser etwa weggenommen und vorher wars gar keine Wüste?
Wüste! Ich mag das Buch...
Na das geht ja schnell. O.O
Hm, hat eigentlich der Name der Autorin sie IRGENDWIE zu dem Buch inspiriert?
Ich frag ja nur ...
Der Wasser-Mann ist bestimmt inzwischen in der Wüstenhitze verdampft ... ;)
@Silph
Das wäre ja mal fies! Dann hat er quasi nur seine Diebesbeute bei ... in Grazia abgeladen?
Aber nein, das kann ich nicht glauben. Ein nackter Mann hat dann doch sowas ... Ehrliches. :ugly:
@Flocke
:nick: Wüste ist immer gut. :-D
@Jo
Na, bevor Grazia erst mal ein paar Kapitel unter Farnwedeln oder in Cafeterien herumsitzt ... :breitgrinsend:
@Rabenfeder
Jetzt, wo Du's schreibst ... :-D
Stimmt, in der Wüste sind Farne bekanntlich rar. :)
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