„Ein Alptraum. Weiter nichts“ sagte sie, am ganzen Leib zitternd, während ihr immer noch das Schreckensbild aus dem Traum vor Augen stand: Sie selbst war mit Ketten an die Mauer eines finsteren Kerkers geschmiedet, während dünne, spinnenbeinartige Finger nach ihrem entblößten Körper griffen.
Natürlich ist ihr Körper entblößt. Geht ja nicht anders. Einige Eidechsenarten werfen in Gefahrensituationen ihren Schwanz ab, Marthes Körper seine Kleider. Stress, *flupp*, entblößt.
Ansonsten wünsche ich fröhliches Raten: was hat Marthe hier visioniert? Wie wird sich ihr Traum dann in der Wirklichkeit darstellen?
Märthsche ist ein wenig beunruhigt. Zwar visionierte sie, wie wir aus dem ersten Buch wissen, pro Kapitel mindestens zweimal, in der Zeit zwischen den Büchern aber eher weniger. Schwangerschaft, Mutterschaft, dreimal täglich sie-wissen-schon mit Chris ... das hält beschäftigt und lässt wenig Zeit, um visionär Visionen zu visionieren.
Chris möchte Marthe gerne beruhigen, aber die meint nur, dass es wahrscheinlich nur die Angst vor dem Fluch des Meisters sei. Oder die Angst davor, dass er zurückkäme und sich rächen würde. Insgeheim wünscht sie sich jedoch Josie herbei, die weise Frau aus Meißen, die im letzten Buch ja mal gesagt hatte, dass sie irgendwann nach Christiansdorf kommen würde, da Chris & Marthe sie dann brauchen würden. Ist wohl noch nicht soweit, denn sie residiert noch immer in ihrer alten Hütte.
Unsere beiden Protagonisten unterhalten sich noch ein wenig über erquickliche Dinge wie „Der Meister wird woanders weitermachen wie bisher“ und dass die ruhigen Zeiten nun wohl wirklich vorbei sein werden, dann legt man sich, von den „Dämonen der Vergangenheit“ gequält, zur Ruhe.
Der nächste Tag bringt die üblichen Verpflichtungen mit sich. Marthe bittet Peter, den kleinen Ex-Dieb, doch mal bitte die ganzen Dirnen einzusammeln und zu ihr zu bringen, es gäbe was Wichtiges zu besprechen.
Es dauert nicht lange und die Damen des leichten Gewerbes trudeln ein.
„Wollt ihr von uns ein paar Ratschläge, wie Ihr Euren Gemahl im Bett an euch fesseln könnt?“, fragte eine vorwitzig.
„Oder sollen wir uns um ihn kümmern? So einen stattlichen und edlen Ritter würde bestimmt jede von uns gern nehmen“, rief eine andere dazwischen.
„Ähm ... das wird nicht nötig sein. Wir kommen zurecht“, murmelte Marthe, während ihr das Blut ins Gesicht schoss.
„Davon haben wir gehört“, rief eine der jungen Huren mit üppigen blonden Locken lachend.
Nicht nur ihr, meine Damen, nicht nur ihr.
Zum Glück trifft gleich darauf Jonas ein und die Sitzung kann beginnen. Es geht, ihr werdet es schon vermutet haben, um das geplante Hurenhaus. Man kaspert aus, dass das Dorf (sprich, Chris) ein Haus bauen lässt und die Damen das monatlich abbezahlen. Sie dürften sich auch selbst verwalten, denn schon damals hielten die Dirnen wenig von
Wie auch immer, es solle jedenfalls keinen Streit mehr auf der Strasse geben, meint Marthe streng und sieht den Frauen mit aller Kraft in die Augen.
Sie kannte die meisten von ihnen, denn fast alle waren in den letzten Jahren schon wegen dieses oder jenes Leidens bei ihr gewesen. Nur eine war ihr bisher unbekannt, ein blutjunges Ding, bestimmt kaum älter als zwölf Jahre, das recht hübsch ausgesehen hätte, wäre ihr Gesicht nicht mit deutlichen Spuren von Schlägen verunstaltet.
Heeeere we go again.
Für Sex, Drugs & Rock’n’roll ist die Zeit noch nicht reif, also gibt es das Nächstbeste: Sex, Schläge und Intrigen. Hnngh!
Man einigt sich und die Dirnen brechen auf. Die rothaarige Tilda (die im letzten Buch das Ablenkungsmanöver anführte, als Jonas und Karl im Pranger hingen) wird von Marthe zurückgehalten, sie hätte noch eine Tinktur für eine Freundin.
Die Frau sah sie mit ehrlicher Verwunderung an und sank dann auf die Knie. „Gott segne Euch! Ihr seid wirklich eine Heilige. [...]“
Haja, im ersten Buch gelang schon der Sprung vom Bauerntrampel zur edlen Dame. Vielleicht schaffen wir es ja in diesem wirklich zur Heiligen. Muss nur noch der Papst unter Darmwinden leiden, Marthe zufällig in der Nähe sein ...
Aber im Moment geht es nicht um den Papst sondern um die Dorfhuren, obwohl das, wenn man sich die Geschichte der Päpste so ins Gedächtnis ruft, nicht unbedingt so unvereinbare Welten sein müssen wie man denken möchte. Marthe möchte von Tilda wissen, wer die junge Kollegin von ihr sei und wer sie denn so zugerichtet hätte. Tja, nun, Tildsche mag Marthe für eine Heilige halten, aber das, so findet sie, geht sie nun doch nichts an.
Mit einem Mal verschloss sich Tildas Gesicht. „Weiß ich nicht. Und Ihr solltet es besser auch nicht wissen“, erwiderte sie knapp und verließ das Haus.
Tscha. Abgeblitzt, hu?
Im nächsten Abschnitt kommen zwei Reiter angeritten. Dramatic-Chipmunk-Marthe denkt natürlich sofort an Randolf, aber es sind nur Lenden-Lukas und sein kleiner Bruder. Der scherzt zuerst ein wenig mit Marthe, die er, wie alle Männer im Umkreis von mindestens 500 Kilometer, von Herzen liebt.
Er liebte sie auch, aber nicht wie eine Schwester, obwohl sie nun als Frau seines Dienstherren und besten Freundes für ihn unerreichbar war.
Man denke sich bitte jammernde Geigen im Hintergrund, danke.
Die übliche Routine für weitgereiste Reiter wird abgerollt. Begrüßung, Suppe mit Brot und Bier, Pferde werden versorgt, Neuigkeiten ausgetauscht.
Da guck, Lukas soll gewinnbringend verheiratet werden. Mit der Tochter eines Nachbarn. Der Sohn des Nachbarn sei dahingeschieden und wer auch immer die Tochter heiratet, der bekommt das Gut. Klingt vernünftig. Dummerweise musste der Nachbar seine Tochter, eine überzeugte Jungfrau, dafür aus dem Kloster holen, wo diese sehr glücklich war.
Oha. Ich spüre weiteres Drama am Horizont dräuen.
„O Verezweifelung, o dräuend Ungemach – mir dünkt, der Feind obsieget!“
Hach. Dr. Erika Fuchs war halt doch die Beste. :fangirl:
Aber nun, zurück zum Text.
Die Tage vergehen mit Dorfkrams. Marthe zählt kummervoll die Tage bis zur Abreise ihrer einzig wahren Liebe, heilt die Fieberkranken, managt den Haushalt und bereitet das Osterfest vor. Chris bildet die Wachleute aus, verwaltet die Bergleute und hat auch allgemein viel zu tun. In den wenigen Minuten des Tages, die sie für sich haben (und in denen sie sprechen, ne), muntern sie sich gegenseitig damit auf, dass ja jederzeit alles vorbei sein kann, sobald man sich trenne, sei es durch Unfall, Brand oder Überfall.
Tolle Ehe. So ... aufbauend.
In dieser Nacht schreckt Marthe – mal wieder – aus dem Schlaf. Dieses Mal ist es aber kein Albtraum, der sie alarmiert, sondern Lukas, der allein im Schein einer Kerze unten in der Halle am Tische sitzt und sich hemmungslos betrinkt.
Ei, inquiriert Marthe, was denn los sei. Ja, nun, seine bevorstehende Heirat bedrücke ihn, weil seine Zukünftige ihn irgendwie so ein bisschen von Herzen hassen würde, lallt Lukas zurück. Die Kirche lehre nämlich, dass nur Jungfrauen in den Himmel kämen, und Lukas würde ihr diese Karrierechance in der Hochzeitsnacht wohl verderben.
„Und wenn ihr die Ehe nicht gleich vollzieht?“, fragte [Marthe] vorsichtig. [...]
[Lukas] schüttelte den Kopf. „Unsere Väter haben uns aufs Kreuz schwören lassen, um das zu verhindern. Und sie wollen dem Vollzug der Ehe beiwohnen.“
Oh Jössas. Das wird ja immer drolliger!
Marthe verspricht Lukas, dass sie mit dessen frömmelnder Verlobten mal reden wird und verfrachtet ihn dann ins Bett. In seines. Alleine. Muss man ja schon sagen, hier, in diesem Buch. Sicherheitshalber.
Am nächsten Tag hat Lukas einen Kater und schlechte Laune, die er an seinem kleinen Bruder auslässt. Wobei der es irgendwie schon verdient hat, weil er sich mit dem Schwert nicht so geschickt anstellt wie Lukas in seinem Alter.
Ja, dasma 'ne Logik. :-p
Einen Tag darauf ist es soweit, Chris macht sich auf den Weg, Marthe, Gesinde und der ganze Rest wimmeln herum und halten Abschied.
Sie trat näher, während sie noch einmal den Anblick in sich aufnahm: Christians Bewegungen, kraftvoll und geschmeidig, die unbeschreibliche Mischung aus Gelassenheit und Konzentration.
Ich muss an Ballett denken. Tütüs und Spitzenschühchen. Hm. Wahrscheinlich ist meine visuelle Vorstellung verstellt, seit ich vor meinem inneren Auge Bertram als lebensgroßer Hotdog verkleidet inkognito durchs(<--!) Dorf schleichen sah. Ich sehe mal zu, dass ich das wieder einrenke.
Ja, nun, Chris muss losreiten und Marthe leidet ganz fürchterlich. Wegen Randolf. Und der Vorahnungen.
17 Kommentare:
Sie wird mal mit der eisernen Jungfrau reden... Klar, Marthe ist ja bestens geeignet, jemanden von den himmelschreienden Freuden der körperlichen Liebe zu überzeugen. Was ist dagegen schon das Paradies? Und was die Selbstbestimmung einer Frau, die im selbstgewählten Klosterdasein tatsächlich glücklich ist? :ugly:
Ja, hey! Mittelalter! Das war 'ne harte Zeit damals und Frauen waren nur ein notwendiges Übel zur Erhaltung der Art. :quasi-ugly:
Ich bin echt gespannt wie das mit dem Lukas-Weib wird, an die erinnere ich mich gar nicht mehr. :kopfkratz:
Dummerweise musste der Nachbar seine Tochter, eine überzeugte Jungfrau, dafür aus dem Kloster holen, wo diese sehr glücklich war.
Ach, Lendenlukas wird der Guten sicher die Freuden des Fleisches näherbringen können. :smirk:
Die Kirche lehre nämlich, dass nur Jungfrauen in den Himmel kämen...
Das stelle ich mir sehr leer vor dort. :tumbleweed:
Hoppi: Das stelle ich mir sehr leer vor dort. :tumbleweed:
Bei den Zuständen, wie sie laut des Buches zu der Zeit herrschten: jau. Ich mir auch.
Ich las:
"Chris bildet die Wachleute aus, vergewaltigt die Bergleute und hat auch allgemein viel zu tun."
Das erschreckende daran ist, dass das bei diesem Buch durchaus im Bereich des Möglichen liegt. :ugly:
"Wie wird sich ihr Traum dann in der Wirklichkeit darstellen?"
Hm. Sie wird in Ketten sein, nackt, jemand mit dürren Fingern begrabbelt sie? :wild rumspekulier:
Dass die Kirche mal gelehrt hat, man könne nur als Jungfrau in den Himmel kommen, ist mir ziemlich ... neu.
Dass die Kirche mal gelehrt hat, man könne nur als Jungfrau in den Himmel kommen, ist mir ziemlich ... neu.
Naja, wenn mich mein Erinnerungsvermögen jetzt nicht total im Stich lässt, war man im frühen Christentum, also 4./5. Jh. n. Chr., durchaus auch der Meinung, heiraten wäre nicht nötig, man solle sich lieber mit weniger weltlichen Dingen auseinandersetzen, da das Ende der Welt eh nah und somit die Bevölkerung der Erde nicht mehr wirklich notwendig wäre. Also entweder ist die Frau Jungfrau eine sehr altmodische Person oder sie hat etwas falsch verstanden. :ugly:
Wahrscheinlich hängt das vom Beichtvater ab, was man so tun muß, um in den Himmel zu kommen. Obwohl... sündige Priester hatten wir noch nicht, oder? Die Autoren haben ein Klischee ausgelassen?
Naja, angesichts der stets notgeilen, zumeist brutalen, häufig strunzdummen Männerwelt, in der Marthe da so lebt, ist Nonne sein vielleicht gar keine üble Option...
"Unsere beiden Protagonisten unterhalten sich noch ein wenig über erquickliche Dinge wie „Der Meister wird woanders weitermachen wie bisher“" [...]
Also. Ich will ja nix sagen. Aber DAS haben sie sich nun wirklich selbst eingebrockt. :ugly:
Lukas sein Weibli klingt ja sehr... äh... ehrlich gesagt fällt mir dazu nix ein. Fest steht, glaube ich, nur, dass sie Marthe am Ende unglaublich dankbar für ihre guten Ratschläge sein wird :p Oder sie in rasender Eifersucht verflucht, verrät, und mit Randolf durchbrennt.
@Hoppi, das stimmt, aber das hatte nichts mit der Frage zu tun, mit welchen Voraussetzungen man in den Himmel kommt. Würde ja z.B. auch total dem Ablasshandel, Pilgerfahrten, Almosengeben usw. widersprechen. Alles hat den Zweck, das zu erreichen. Einmal gepoppt und für immer ausgesperrt, hieße ja, dass man jetzt die Sau rauslassen kann. Nee, so tickte der mittelalterliche Mensch nicht. Ich weiß echt nicht, wo die Autorin diese Idee herhaben will.
Und ich sagte noch, Vianne, sagte ich, nicht Marthe II, hab ich gesagt. Aber hat sie auf mich gehört?
@Nazgul
Aber doch nicht unser treuer Christian! :schockiert:
Zikädsche:
Dass die Kirche mal gelehrt hat, man könne nur als Jungfrau in den Himmel kommen, ist mir ziemlich ... neu.
Ich hab's grade nochmal rausgesucht:
„Die Kirche lehrte, dass nur Jungfrauen in den Himmel kamen. Treue Ehefrauen, die Kinder gebaren, und keusche Witwen hatten allenfalls eine vage Aussicht darauf.“
Entweder die Autorin weiß etwas, das wir nicht wissen, oder sie brauchte einen nicht wegzudiskutierenden Grund, warum Lukas' Weible unbedingt Jungfrau bleiben wollen würde. :kopfkratz:
Silph:
Obwohl... sündige Priester hatten wir noch nicht, oder? Die Autoren haben ein Klischee ausgelassen?
Irgendwo in diesem Buch wird, soweit ich weiß, noch ein Priester vorkommen. Wahrscheinlich will er Marthe nur deswegen verbrennen, weil er sich in sie verliebt hat. :nick:
@Centi
Nja, ich dachte, ich versuche es mal mit Demokratie. Abstimmung. Stimme des Volkes, äh, des Lesers. :ugly:
Der Zustand der Welt hätte mir eine Warnung sein sollen.
Bin ich das, oder ist Marthe II noch langweiliger von der Story als Marthe I?
Aber Marthe I wurde doch auch erst richtig in den letzten paar Kapiteln spannend - es besteht noch Hoffnung :nick:
Jo, eine "vage Aussicht darauf" klingt schon so rumgeeiert. Und die Jungs? Durften die auch nicht?
Überhaupt, wie passt das zu "seid fruchtbar und vermehret euch". Das Jahr 11hundertnochwas hätten wir ja gar nicht erreicht, wenn sich jeder dran gehalten hätte. *g*
"Irgendwo in diesem Buch wird, soweit ich weiß, noch ein Priester verkommen."
Nein, halt. Steht dort nicht, auch wenn es passend wäre.
...
Ich warf Bella Meyer einmal Plotarmut vor. Marthe Ebert leidet an wuchernden Tumor-Plots.
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